Natürliche Nutzung
Naturschutz und Naturnutzung waren im gesellschaftlichen Verständnis lange Zeit starke Gegensätze. Sieht man die Entwicklung des letzten Jahrzehntes, so hat sich einiges zum Positiven geändert. Aber immer noch werden die Begriffe Naturschutz, Naturnutzung und Nachhaltigkeit oft zu ideologisch und unrichtig aufgefasst, was häufig zu Missverständnissen und Feindbildern zwischen Jägern und anderen Interessengruppen führt. Dieser Artikel von Univ. Prof. Dr. Friedrich Reimoser, Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien, soll zur Begriffsklärung und zur Vermeidung unnötiger Diskussionen beitragen.
Positive Entwicklung
Vor 10 Jahren war es auf offizieller internationaler Ebene neu, dass zwischen Naturschutz und Naturnutzung durch den Menschen kein grundsätzlicher Gegensatz besteht. Das heißt nicht, dass jetzt jede Form der Nutzung automatisch als Beitrag zum Naturschutz anerkannt wird. Die Nutzung muss in „nachhaltiger“ Weise erfolgen. Dieser Verständniswandel wurde 1992 bei der Weltumweltkonferenz der UNO in Rio offiziell eingeleitet. Die Weltnaturschutzunion IUCN stellte dann im Jahr 2000 in ihrer Grundsatzerklärung von Amman in prägnanter Weise nochmals ganz klar: „Die Nutzung wildlebender Ressourcen stellt, soweit sie nachhaltig erfolgt, ein wichtiges Instrument zur Erhaltung der Natur dar, da die durch eine solche Nutzung erzielten sozialen und wirtschaftlichen Vorteile dem Menschen Anreize geben, diese zu erhalten.“ Ausgenommen von diesem Schutzkonzept sind Nationalparks und Wildnisgebiete, wo auf konsumtive (entnehmende, verbrauchende) Nutzung verzichtet werden soll. Am Weltnaturschutzgipfel 2002 in Johannesburg wurde dieses die Nutzung einschließende Naturschutzverständnis abermals bestätigt.
Jagd ist zwar mehr als nachhaltige Nutzung. Sie kann aber gerade über diese Form der Nutzung Teil eines großen gesellschaftlichen Entwicklungskonzeptes werden. Die Verantwortung dafür haben in der EU rund 10 Millionen Jäger zu tragen. Der internationale Jagdrat CIC betonte heuer bei seiner 50. Jahrestagung in Helsinki die Pflege des Prinzips der nachhaltigen Nutzung von Wild als sehr wichtigen Beitrag zum Schutz der Biodiversität. Vor allem die junge Jägergeneration, die im CIC speziell organisiert ist, will sich dieser Aufgabe widmen. Es soll Jägern und Nichtjägern in der ganzen Welt klar gemacht werden, dass der langfristige Schutz von Wildtierarten am besten durch nachhaltige Nutzung und nicht durch generellen Nutzungsverzicht gewährleistet ist. Dies setzt allerdings Lebensraumschutz für Wild voraus – nur in intakten Lebensräumen können vitale Wildtierpopulationen auf Dauer bestehen. Dafür ist aber nicht nur der Jäger, sondern sind alle Interessengruppen, die im Wildlebensraum tätig sind, mitverantwortlich. Es erfordert also eine ganzheitliche Sicht, die bereits bei den Kindern in den Familien (spezielle Familientage), im Kindergarten und in der Volksschule durch aktives Lernen draußen in der Natur gefördert werden muss. Dies wird als notwendige Ergänzung zur Welt am Computer gesehen. Dafür sollen Natur- und Wildpädagogen ausgebildet werden, die den „Mehrwert“ der nachhaltigen Nutzung für den Menschen und den Naturschutz begeisternd vermitteln können. Es soll ersichtlich werden, dass der Jäger auch zum Vorteil der Gesellschaft tätig ist.
Nachhaltigkeit als Forderung des Menschen
Andere Naturnutzer (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Tourismus) können mit dieser Form des Naturschutzes (durch nachhaltige Nutzung) ebenfalls gut leben. Neuerdings werden allerdings von Seiten der Naturschutzorganisationen Stimmen laut, dass sich Naturnutzer teilweise nicht wirklich um die Nachhaltigkeit bemühen, sondern bloß dieses Modewort an ihre Fahnen heften würden, um ihre Tätigkeit zu rechtfertigen („Etikettenschwindel“). Bei den Diskussionen um die Nachhaltigkeit wird dann deutlich, dass nicht von vornherein klar ist was Nachhaltigkeit konkret bedeutet, sondern dass im gesellschaftlichen Kontext erst definiert werden muss, was man darunter verstehen will. Es gibt kein Naturgesetz, aus dem man Nachhaltigkeit ableiten könnte. Deshalb ist man jetzt in den verschiedenen Nutzergruppen dabei, Prinzipien, Kriterien und Indikatoren festzulegen, durch die der Grad der Nachhaltigkeit in ökologischer, ökonomischer und sozio-kultureller Hinsicht messbar gemacht wird. Dies erfolgte auch für die Jagd (siehe Österreichs Weidwerk 2001, Heft 9 sowie www.biodiv.at/chm/jagd).
Eine überwiegende Anzahl von Menschen antwortet allerdings auf die Frage, welche der beiden Begriffe – „ Nachhaltigkeit“ oder „Nutzung“ – denn der Natur näher stünde, spontan mit: „die Nachhaltigkeit“. Dies kann auch regelmäßig im Rahmen der studentischen Ausbildung festgestellt werden. Nachhaltigkeit ist somit stärker mit „natürlich“ besetzt, Nutzung hingegen generell eher negativ mit „unnatürlich“. Dieser Irrtum ist wohl die Nachwirkung einer Jahrzehnte langen sehr nutzungskritischen bis nutzungsfeindlichen Erziehung, als verständliche aber überzogene Gegenbewegung zu einer vielerorts bedenkenlosen „Übernutzung“ von natürlichen Ressourcen durch den Menschen.
Nachhaltigkeit und letztlich auch Naturschutz sind aber keine Naturprinzipien, sondern auf den Menschen bezogene (anthropozentrische) Konzepte. Sie sind primär auf die absehbaren Bedürfnisse zukünftiger Menschengenerationen zugeschnitten. Nachhaltigkeit, wie sie der Mensch anstrebt, findet man im Naturgeschehen kaum. Man könnte sagen: Das einzig wirklich Nachhaltige in der Natur ist ihre Veränderung. Dessen sind sich aber viele Menschen nicht bewusst. Himmelskörper entstehen und vergehen; wo auf der Erde früher Wasser war ist heute Land (und umgekehrt) – Kontinente und Meere verändern ihre Lage durch die Konti-nentalverschiebung; wo es früher kalt war ist es heute warm (Eiszeiten); die Lage von Wüsten ändert sich; Pflanzen- und Tiergesellschaften verändern sich durch Klimaänderungen, durch natürliches Aussterben und Neuentstehung von Arten; Gebirge falten sich auf und werden wieder erodiert. „Naturkatastrophen“ verändern die Welt, Leben entsteht und vergeht wieder. Nichts kommt so wieder wie es einmal war. Ständig gibt es neue Gewinner und neue Verlierer unter den Arten.
Zu den großen „Gewinnern“ der letzten Jahrtausende gehört zweifellos der Mensch. Es ist verständlich und durchaus legitim, dass er und andere Gewinner aus dem Pflanzen- und Tierreich sich eine Umweltsituation längerfristig (nachhaltig) erhalten wollen, die ihnen den Gewinnerstatus kontinuierlich und auf Dauer ermöglicht. Dies ist im Grunde ein ständiges Arbeiten gegen natürliche Veränderungen. Gartenbesitzer können dies am Besten verstehen.
Eine auf überschaubarer Fläche alljährlich weitgehend gleichbleibende Nutzungsmenge und -qualität wie es Ziel zum Beispiel der Land- und Forstwirtschaft ist, also kurzfristige und kleinflächige Nachhaltigkeit können sogar sehr unnatürlich, aber dennoch vom Menschen sehr erwünscht sein. Dies trifft auch auf die jagdliche Nutzung zu. Wildtierbestände unterliegen von Natur aus meist viel größeren räumlichen und zeitlichen Schwankungen als dem Jäger lieb ist. Eine stärker an natürliche Abläufe angenäherte Nutzungsnachhaltigkeit lässt deshalb solche Unterschiede und Veränderungen bis zu einem gewissen Grad zu oder fördert sie sogar. Sie fordert also die konstante Verfügbarkeit der natürlichen Ressourcen lediglich innerhalb von größeren Gebieten und längeren Vergleichszeiträumen. Oft verträgt sich dies aber nicht mit kleinflächiger Besitzstruktur und dem zeitlich begrenzten Erwartungshorizont des einzelnen Menschen.
Nutzung als Grundprinzip der Natur
Nutzung hingegen ist – auch ohne Einbeziehung der menschlichen Nutzung – ein ganz zentrales Grundprinzip der Natur. Ohne Nutzung könnten die natürlichen Prozesse, an denen sich auch der Naturschutz orientiert, gar nicht ablaufen. Nutzung, sowohl in konsumativer als auch in nicht konsumativer Form, ist der Motor vieler dynamischer Abläufe in Naturgeschehen. Jedes Lebewesen lebt von der Nutzung und Benutzung natürlicher Ressourcen, sei es zum Schutz vor Feinden oder Klimaeinflüssen, zum Spiel, zum Nestbau und selbstverständlich zur Nahrung (Primärproduktion der Pflanzen, Nahrungsketten über Pflanzen- und Fleischfresser bis hin zu den Reduzenten, die die organische Substanz wieder abbauen). Alle Glieder der Lebensgemeinschaften stehen von Natur aus in ständigen Nutzungsabhängigkeiten zueinander. Der Mensch ist nur ein Glied davon, das aber zweifellos sehr maßgebliche Auswirkungen hat.
Während also der Begriff „Nutzung“ eng mit der ganzen Natur verbunden ist, ist der Begriff Nachhaltigkeit auf den Menschen und seine Bedürfnisse bezogen. Beide Begriffe sind wichtig, keiner davon minderwertiger – man sollte aber wissen wovon man spricht, wenn über Naturschutz, Nutzung und Nachhaltigkeit diskutiert wird. Den Blick auf die Realität verstellende Ideologien, daraus entstehende Missverständnisse und Feindbildpflege zwischen „Schützern“ und „Nutzern“ der Natur können Probleme sicherlich nicht lösen. Die Ursachen dieses Verständnis- und Kommunikationsproblems sollten insbesondere bei der Ausbildung der Jugend und der sie ausbildenden Lehrer besser erkannt und vermieden werden. Insofern kommt der Initiative des CIC (sh. oben) eine besonders richtungweisende Bedeutung zu. Als Voraussetzung für Lernen in der Natur braucht es aber auch geeignete land-, forst- und jagdwirtschaftliche Betriebe, die Lehrer und Schüler einladen und kompetente Führungen machen können. Gute Waldpädagogen zum Beispiel sollten die Naturzusammenhänge und den Wert der nachhaltigen Nutzung für Mensch und Naturschutz anschaulich vermitteln können, auch, dass Nachhaltigkeit eine Kultur des Teilens ist – zwischen Generationen und Interessengruppen.
Die im Titel gestellte Frage lässt sich abschließend folgend beantworten: Nutzung – auch die jagdliche – ist grundsätzlich natürlich. Wenn sie den Nachhaltigkeitskriterien entspricht, hat der Mensch auf Dauer mehr davon und gleichzeitig wird diese Nutzung dann als aktiver Beitrag zum Naturschutz auch gesellschaftlich anerkannt.