Wohin geht die Jagd?
Entwicklungen, Alternativen und Notwendigkeiten
Ein Artikel von Dipl.-Ing. Josef Kerschbaummayr
Quelle: OÖ Jäger, Nr. 147 (Juni 2015)
Die Abschusspläne für das heurige Jahr wurden erstellt und sollen nun erfüllt werden. Die Schusszeit hat begonnen. Dem fröhlichen Jagen steht also nichts mehr im Wege – oder doch? Die Jagdausübung wird durch zahlreiche Einschränkungen und Störungen behindert, sodass häufig keine rechte Weidmannsfreude aufkommen will. Viele Jäger betrachten die Entwicklung mit Sorge und fragen sich, wie es wohl weitergehen wird.
Ist diese Sorge berechtigt oder hat der einzelne Jäger heute noch Möglichkeiten, seine Jagdausübung so zu gestalten, dass er mit Freude jagen kann und dabei seine Aufgaben in der Natur und Gesellschaft bestmöglich – wenn auch nicht immer zur Zufriedenheit aller – erfüllt? Diesen Fragen will der Beitrag nachgehen und gleichzeitig Denkanstöße sowie einige konkrete Vorschläge für eine positive Weiterentwicklung anbieten.
Viele Jäger fragen sich, warum ihr Tun von manchen Bevölkerungsgruppen und Medien zunehmend kritisch beobachtet und fallweise sogar die Notwendigkeit und Berechtigung der Jagd in Frage gestellt wird? Die Ursachen dieser Entwicklung nur auf den Zeitgeist zurückzuführen, ist zwar bequem, greift aber zu kurz und zeigt keine konstruktiven Lösungsansätze auf. Für ein umfassendes Verständnis der Problematik erscheint es notwendig, die geschichtliche Entwicklung der Jagd und ihre Bedeutung für die Gesellschaft genauer zu betrachten.
Abschöpfende Tätigkeit oder produzierende Wirtschaftsform?
Die Jagd ist ihrem Ursprung und ihrem eigentlichen Wesen nach eine abschöpfende und aneignende Tätigkeit. Mit dem Wort „abschöpfend“ wird hier nicht die Entnahme der wertvollsten Bestandteile bezeichnet, sondern die Entnahme von sogenanntem Überschuss. In dieser Bedeutung des Wortes wird die Aufgabe der Jagd und ihre Berechtigung sehr treffend zum Ausdruck gebracht.
Im Laufe der Zeit, besonders im letzten Jahrhundert hat sich die Jagd immer mehr zu einer produzierenden und erntenden Wirtschaftsform entwickelt. Die Produktionsziele (obwohl meist bestritten) waren häufig hohe Stückzahlen und/oder starke Trophäen. Beide Produktionsziele sind für die nichtjagende Bevölkerung weder notwendig noch wertvoll, für viele Menschen sind diese Ziele nicht einmal nachvollziehbar. Die Annäherung an eine produzierende Wirtschaftsform ist einer der Hauptgründe für viele Probleme, denen sich die Jagd heute gegenübersieht, nicht zuletzt auch für die abnehmende gesellschaftliche Akzeptanz.
Beide Formen der Jagd bergen Gefahren in sich, besonders dann, wenn sie in übertriebener Weise ausgeübt werden. Wird die abschöpfende Form nicht auf die Entnahme von Überschuss beschränkt, sondern der Bestand gefährdeter Arten weiter verringert, kann das bis zur Ausrottung führen (z.B. Steinwild). Bei der produzierenden Form besteht eher die Gefahr, dass zu viel gehegt und zu wenig erlegt wird, sodass das Wild Schäden am vom Menschen genutzten Lebensraum verursacht.
Wir Jäger sollten uns ernsthaft die Frage stellen, ob wir den Weg zur produzierenden und erntenden Wirtschaftsform nicht schon zu weit gegangen sind und das Anspruchsdenken mitunter bereits Freude und Dankbarkeit überlagert. Wir müssen uns wieder besinnen auf das, was den Reiz der abschöpfenden Jagd ausmacht, z. B. ihre ausgeprägte Unberechenbarkeit. Einige wichtige Maßnahmen zur Eindämmung ausufernder produzierender Komponenten wurden in den letzten Jahren bereits gesetzt, als Beispiele können das Verbot der Sommerfütterung und die Einschränkung der Kirrung und Fütterung des Schwarzwildes genannt werden.
Eine der letzten abschöpfenden Jagdarten war der Schnepfenstrich. Vielleicht haben viele Jäger den Verlust der Frühjahrsjagd gerade aus diesem Grund so schmerzhaft empfunden.
Solange es bei der Jagd auf Raubwild vorwiegend um den Balg ging, war sie ebenfalls eine abschöpfende Form der Jagd. Seit der Balg seinen Wert verloren hat, wird das Raubwild weiterhin bejagt, die Notwendigkeit der Raubwildbejagung aber nur noch selten mit der Freude daran, sondern vor allem mit Niederwildhege, Schutz mancher geschützter Tierarten und des Hausgeflügels sowie Seuchenverhütung begründet.
Jeder Jäger kann für sich entscheiden, ob er seine Art zu jagen eher „abschöpfend“ oder „produzierend“ gestalten will. Eine extreme Ausrichtung auf eine der beiden Komponenten ist grundsätzlich nicht zu empfehlen, es geht vielmehr darum, die abschöpfende Form nicht als „Fleischjägerei ohne Leistung des Jägers“ zu diskriminieren, sondern als dankbare und verantwortungsbewusste Entgegennahme von Geschenken der Natur zu empfinden sowie eine ausgewogene Gewichtung der beiden Komponenten zu finden. Die persönliche Entscheidung eines Jägers, seine Jagdausübung eher in abschöpfender Form zu gestalten, setzt voraus, dass er seine Erwartungen hinsichtlich Stückzahlen und Stärke der Trophäen verringert. Sie stellt aber auch eine Möglichkeit dar, seine Zufriedenheit und vielleicht sogar das Erleben jagdlicher Freuden zu vermehren.
In der Jägerschaft ist es in den letzten Jahrzehnten weitgehend in Verruf geraten, sich zu einer vorwiegend „abschöpfend“ ausgerichteten Jagdausübung zu bekennen und die Jagd in dieser Form auszuüben. Es erscheint daher hoch an der Zeit, die Frage aufzuwerfen, ob die Erlegung von Wild nur dann gerechtfertigt ist, wenn vorher Hegeleistungen für das Stück oder zumindest für die bejagte Wildart erbracht wurden. Eher abschöpfend jagende Jäger werden diese Frage eindeutig verneinen. Wenn man konsequent weiterdenkt, landet man bei der Frage, welche Form der Jagd der Natur und der menschlichen Gesellschaft besser dient. Eine „vorbildliche“ Hege, die hohe Wildstände und damit auch potentielle Schäden in Kauf nimmt oder eine Entnahme ohne großartige Hegeleistungen, die sich an den schwankenden, jeweils entbehrlichen Überschüssen orientiert? Diese Art der Gegenüberstellung ist sicherlich überspitzt formuliert, sie kann aber wertvolle Denkanstöße liefern.
Wer die abschöpfende Jagd mehr betonen und sich dazu bekennen will, muss davon ausgehen, dass seine Entscheidung nicht bei allen Jägern auf Verständnis stoßen wird, teilweise sogar auf Ablehnung.
Ein ehrliches Bekenntnis zur abschöpfenden Jagd setzt folgende Einstellungen voraus:
- Keine übertriebene und vor allem keine trophäenorientierte Fütterung.
- Witterungsbedingte Schwankungen der Bestände (z.B. beim Gamswild) und Besätze als natürlich ansehen, nicht als Katastrophen.
- Grundsätzlich Freude an der Jagd empfinden, auch an der Erlegung gesunder und stärkerer Zuwachsträgerinnen und Nachwuchsstücke, sofern sie Überschuss darstellen.
Argumentation zur Bedeutung der Jagd für die Gesellschaft
Die von den Jägern zur Rechtfertigung der Jagd vorgebrachten Argumente (Erhaltung bedrohter Arten, Abwehr von Schäden, Bereitstellung hochwertiger Nahrungsmittel etc.) werden von Kritikern häufig als Vorwände und als nicht sehr ehrlich zurückgewiesen. Sind die Argumente nun wirklich stichhaltig und v.a. glaubwürdig oder halten sie einer kritischen Prüfung nicht immer stand?
Meiner Meinung nach sollten vier Themen bei der Argumentation in den Vordergrund gerückt und bei der Jagdausübung konsequent umgesetzt werden:
- Der Beitrag der Jäger zur Erhaltung und Verbesserung der Artenvielfalt bei Tieren und Pflanzen (Mischbaumarten).
- Bereitstellung des hochwertigen, gesunden Nahrungsmittels Wildbret.
- Verhütung von Schäden, die durch zu hohe Wildbestände verursacht werden.
- Persönliche Freude an allen mit der Jagd verbundenen Tätigkeiten. Dazu gehört auch die Erlegung; sie soll nicht unbedingt in den Vordergrund gerückt, aber auch nicht verschwiegen werden.
Alle Argumente müssen glaubwürdig und nachvollziehbar sein. Die Jäger werden nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten und am Zustand der Vegetation in ihren Revieren gemessen. Durch Wildverbiss verursachte Entmischung sowie übertriebene, trophäenorientierte Fütterung tragen sicher nicht zur Glaubwürdigkeit bei.
Persönliche Freude an der Jagd wird eher dann auf Verständnis und Akzeptanz stoßen, wenn bei Berichten über die Bejagung von Kitzen, Kälbern, Geißen und Tieren vorrangig die Freude am Erlebnis und an der Erlegung zum Ausdruck gebracht und nicht nur auf die Verpflichtung zur Erfüllung hoher Abschüsse und/oder den körperlichen Zustand des erlegten Stückes hingewiesen wird.
Aktuelle Probleme
In vielen Revieren, besonders in Rehwildgebieten zeigt die Abschussplanverordnung positive Auswirkungen auf die Entwicklung einer artenreichen Vegetation. Jeder Jäger, in dessen Revier das zutrifft, kann das sehr überzeugend demonstrieren. Wenn im Revier die am jeweiligen Standort erforderlichen bzw. erwünschten Mischbaumarten großflächig aufkommen, sollten sich kleinliche Debatten über die Aussagekraft einzelner Vergleichs- und Weiserflächen erübrigen.
Weniger erfreulich ist die Entwicklung leider in so manchen Hochwildrevieren. Hier sind die Bestände wieder im Ansteigen begriffen, sodass ihre Absenkung auf ein für den Lebensraum verträgliches Ausmaß höchst notwendig ist (vgl. Der OÖ Jäger, Sept. 2014, S. 19).
Um glaubwürdig zu bleiben, müssen die Jäger die in den letzten Jahren in vielen Rehwildrevieren erreichten Verbesserungen auf Dauer erhalten und dort, wo die Wildstände immer noch oder wieder zu hoch sind und entsprechende Schäden zur Folge haben, unverzüglich wirksame Maßnahmen zur Verringerung der Bestände und der Schäden ergreifen. Dass das möglich und durchaus mit gesunden Wildbeständen sowie mit Freude an der Jagd vereinbar ist, haben verschiedene Beispiele in unserem Bundesland in den letzten Jahrzehnten gezeigt.
Von den aktuellen Problemen, die dringend einer Lösung bedürfen, soll auf zwei noch etwas näher eingegangen werden. Es sind das die Ausbreitung des Schwarzwildes und der Anstieg der Rotwildbestände. Zur Bewältigung beider Probleme bedarf es vor allem einer grundlegenden Änderung von Einstellungen, die häufig zu einer übertriebenen Form der produzierenden Jagd führen.
Ausbreitung des Schwarzwildes
Um die Ursachen für die Ausbreitung des Schwarzwildes sachlich zu beurteilen und darzustellen, darf die Frage nicht ausgeklammert werden, ob und in welchem Ausmaß die Jagd an den Ursachen beteiligt war. Eine unvoreingenommene gemeinsam mit den Geschädigten vorgenommene Beurteilung, in welchem Ausmaß Kirrung oder gar Fütterung die Ausbreitung mit beeinflusst haben, wird sicherlich mehr zur Glaubwürdigkeit der Jäger und zur Lösung der Probleme beitragen als reflexartiges, vehementes Bestreiten.
Angesichts der Entwicklung der Schwarzwildbestände und der Erkenntnisse der Wildbiologie ist es unverständlich, dass manche Jäger immer noch mit einer angeblich bestandesregulierenden „Rauscheunterdrückung durch die Leitbache“ argumentieren.
Für eine spürbare Verringerung der vom Schwarzwild verursachten Schäden sind vor allem zwei Maßnahmen erforderlich, nämlich eine auf rigorose Bestandesabsenkung abzielende Bejagung einschließlich der nicht säugenden Bachen sowie eine drastische Einschränkung der Kirrung. Für einen großflächigen und nachhaltigen Erfolg muss gerade die letztgenannte Maßnahme von allen Jägern voll und nicht halbherzig mitgetragen und umgesetzt werden.
Anstieg der Rotwildbestände
Die steigenden Rotwildstände stellen derzeit ebenfalls ein großes Problem dar. Daher sollen an dieser Stelle Traditionen, die eine gute Abschusserfüllung beim Kahlwild behindern, sowie konkrete Ansatzpunkte zur Verbesserung aufgezeigt werden:
- Über die Richtlinien hinausgehende Einschränkungen des Kahlwildabschusses sowie kleinliche Kritik an notwendigen Abschüssen behindern die Abschusserfüllung unnötig, beeinträchtigen die Motivation einsatzfreudiger Jäger und erweisen berechtigten jagdlichen Anliegen keinen guten Dienst. Diese Aussage gilt sinngemäß übrigens auch für die übrigen Schalenwildarten.
- Notwendig ist ein offenes Bekenntnis zum Abschuss gesunder und stärkere Stücke bei den Zuwachsträgerinnen sowie beim Jungwild, wie das in den Abschussrichtlinien vorgesehen ist. Natürlich sollen kranke und schwache Stücke vorrangig erlegt werden, nur mit diesen Stücken werden die notwendigen Abschusszahlen nicht erreicht werden können.
- Die Bejagung von weiblichem Wild und Nachwuchsstücken grundsätzlich oder vor der Brunftzeit auf die Entnahme kranker, überalterter und schwacher Stücke zu beschränken, stellt eine der Hauptursachen für schlechte Abschusserfüllung und den Anstieg der Wildstände dar und steht nicht im Einklang mit der Bewerbung des Wildbrets als gesundes und hochwertiges Nahrungsmittel.
- Wenn zur Erfüllung der Abschusspläne gesunde und starke Stücke erlegt werden, stellt das vielmehr einen überzeugenden Beweis für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Wildes in diesem Revier dar.
- Schwerpunktbejagung und frühzeitiger Kahlwildabschuss ab Schusszeitbeginn bieten gute Möglichkeiten für erlebnisreiche Jagd ohne Zeitdruck und zu wirksamer Schadensvorbeugung. Hoher Abschussdruck gegen Ende der Schusszeit oder gar Zwangsabschüsse während der Schonzeit bergen das Risiko zusätzlicher Schäden und stellen für die Jäger Verpflichtungen aber kaum jagdliche Freuden dar. Angesichts steigender Wildstände und zunehmender Schäden ist die Tradition der Zurückhaltung beim Abschuss von Kälbern und Tieren am Beginn der Schusszeit nicht länger vertretbar. Es sollte auch gründlich überlegt werden, ob alljährlich wiederkehrende Zwangsabschüsse zum Nachholen nicht getätigter Abschüsse wirklich das geeignete Mittel zur langfristigen Verringerung von Schäden darstellen. Auch im Kommentar zum Oö. Jagdgesetz (zu § 49, Punkt 6.) wird darauf hingewiesen, dass bei richtiger Abschussplanung und entsprechender Erfüllung zusätzliche Maßnahmen zur Hintanhaltung von Wildschäden nicht erforderlich sein sollten, dass jedoch in bestimmten Einzelfällen Probleme kurzfristig nur durch diese Zwangsmaßnahme zu lösen sind.
Ausblick
Um die Zukunft für Wald, Wild und Jäger lebenswert zu gestalten, dürfen wir nicht vergangenen Zeiten nachtrauern; diese hatten auch ihre Probleme. Wir müssen uns den Anforderungen unserer Zeit stellen und diese bewältigen. Dazu werden wir uns von manchen liebgewordenen, aber zu hinterfragenden Traditionen verabschieden und einige Einstellungen ändern müssen. Denkanstöße und Wege dahin werden in diesem Artikel aufgezeigt.
Es wird an uns Jägern liegen, ob wir die durchaus anspruchsvollen Anforderungen in einer Weise bewältigen werden, die den Bedürfnissen des Wildes entspricht, die Anliegen der Jäger und der Gesellschaft ausgewogen berücksichtigt und die Schäden in vertretbaren Grenzen hält. Wenn uns das gelingt, werden wir auch in Zukunft mit Freude und gutem Gewissen gesunde und artenreiche Wildbestände bejagen können.