Resümee: Verbergungskünstler Schalenwild – Was tun?
Die Arbeitsgruppe 2 „WEM/OWI — Ergebnisse und Lösungsfragen" des Forst & Jagd Dialogs, die seit der Mariazeller Erklärung zwischen Forstwirtschaft und Jagdwirtschaft tätig ist, veranstaltete im April ihr 2. Seminar zum Thema „Verbergungskünstler Schalenwild" in der Forstlichen Ausbildungsstätte Ort in Gmunden. Aufbauend auf das 1. Seminar im Vorjahr war es Ziel dieser Veranstaltung, weitere Impulse zu geben für eine verbesserte Kooperation zur Vermeidung von Wildschäden im Wald und für eine effizientere Regulierung hoher Schalenwildbestände.
Schwerpunkte des Seminars waren diesmal Praxisbeispiele für zielführende Maßnahmen des Wildmanagements sowie die gemeinsame Arbeit in Workshops. Den zahlreichen interessierten Fachleuten aus dem Forst- und Jagdbereich wurden Maßnahmen des Schalenwildmanagements und ihre praktische Umsetzung in verschiedenen Regionen in Vorträgen erläutert und es wurde Gelegenheit geboten, diese in den Diskussionsrunden näher zu hinterfragen. Anschließend wurden parallel drei Workshops zu den Themen Jagdmethoden, Jagdinfrastruktur und Lebensraumgestaltung durchgeführt. Über die Ergebnisse der Workshops wird in einem separaten Beitrag berichtet.
Im Einleitungsvortrag sprach Mag. Othmar Karas (Europa Parlament) über Jagd & Gesellschaft in der Europäischen Union. Neben der Situation zum neuen Waffenrecht (keine Änderungen für Jäger) befasste sich Karas vor allem mit dem Aspekt „Schutz von Biodiversität und Lebensräumen ohne Staatsgrenzen“ und mit Konsequenzen aus dem EU-Recht (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, Vogelrichtlinie, Natura2000). Er warnte vor dem Trend „populär, aber unvernünftig“, der keine nachhaltige Entwicklung ermögliche. Seine Forderung „von der Schuldzuweisung zur Verantwortungsbekennung“ kann auch als Leitmotiv für den Forst-Jagd-Dialog verstanden werden.
DI Dr. Peter Kar (LWK, Forstverein) untersuchte am Beispiel von 100 Betrieben, die vom BMLFUW zwischen 1994 und 2013 mit dem Staatspreis für beispielhafte Waldwirtschaft ausgezeichnet wurden, maßgeblichen Faktoren für die Erreichung von Schalenwildbeständen, die eine erfolgreiche Waldwirtschaft ermöglichen. Im Mittelpunkt stand dabei die Tätigkeit der Waldeigentümer. Das von Kar vorgegebene Ziel wurde als erreicht angesehen, wenn in Zusammenhang mit entsprechenden waldbaulichen Maßnahmen eine natürliche Verjüngung standortsgerechter Baumarten ohne besondere Schutzmaßnahmen möglich ist und keine wertmindernden Schäden als Folge von zu hohen Schalenwildbeständen auftreten. Gemessen an diesem Ziel hatten 42% der untersuchten Betriebe dieses Ziel bereits erreicht. Als wichtigste Kriterien für die Erreichung des Zieles stellten sich heraus: (1) Klare Zielsetzung, (2) Erkennen der Wald-Wild-Situation, (3) Wille zur Lösung, (4) Unterstützung/Zusammenarbeit, und (5) Konsequente Umsetzung. Der Punkt „Unterstützung/Zusammenarbeit“ bezieht sich auf Waldbesitzer, Jagdausschuss, Interessenvertretung, Jagd- und Forstbehörde, Jagdgesetz, Jäger. Zum Punkt „konsequente Umsetzung“ betonte Kar die Wichtigkeit des Zusammenwirkens von Wildbestandsanpassung und waldbaulichen Maßnahmen zur Förderung der Verjüngung. Detailliert vorgestellt wurden von Kar zwei erfolgreiche Betriebe aus Vorarlberg (K. Bilgeri, Hittisau) und der Steiermark (F. Haberl, Heilbrunn). DI Johannes Wall (LK OÖ) stellte unter dem Titel „Forstliche und jagdliche Zielsetzungen und Maßnahmen aus einer Hand“ weitere Muster-Betriebe aus Oberösterreich vor (Betrieb Fam. Beyer, Ried in der Riedmark sowie Genossenschaftsjagd Ried in der Riedmark).
DI Franz Ramssl (Ö*P*M Unternehmensberatung) berichtete vom Pilotprojekt „Wege zur Begründung optimal standortsangepasster Waldbestände“, das vom BMLFUW gefördert wird. Im Rahmen des Projekts wurde ein einfaches und praxisorientiertes Werkzeug zur Unterstützung des Waldeigentümers entwickelt. Es liefert kohärente Forst- und Jagddaten, ermöglicht eine Stärken- und Schwächenanalyse für die (betriebliche) Weiterentwicklung und unterstützt die Kommunikation zwischen den Verantwortlichen. Außerdem ermöglicht es eine Einschätzung der Nachhaltigkeit des eigenen Handelns anhand eines Kriterienkatalogs mit Punktewertung. Am konkreten Beispiel von zwei untersuchten Gebieten (EJ Steiner, Fam. Schweiger, Rohr im Gebirge sowie ÖBf-AG, FB Gußwerk, Eislacke-Grübel) erläuterte Ramssl die Funktionsweise des neuen Unterstützungssystems. Besonders hervorgehoben wurden die unterschiedlichen Maßstäbe, die bei der Erfassung und Beurteilung der Waldvegetation (Maßstab lokal) sowie der Höhe und Verteilung des Schalenwildbestandes (Maßstab regional) berücksichtigt werden müssen, wenn ganzheitlich abgestimmte Maßnahmen zu effizienten, nachhaltigen Problemlösungen führen sollen.
DI Josef Hackl (Umweltbundesamt) betonte „den Blick auf’s Ganze“ und erläuterte die bestehenden Prinzipien, Kriterien und Indikatoren für nachhaltiges Wildtiermanagement. Ausgehend von internationalen Konventionen und nationalen Regelungen für die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen stellte Hackl die ökologische Verknüpfung, also die Abhängigkeit des Erfolges eines Landnutzungssektors von den Tätigkeiten der jeweils anderen Sektoren im selben Gebiet dar und zeigte den Weg von der sektoralen Nachhaltigkeit zur Sektor übergreifenden „Gesamtnachhaltigkeit“. Dieser ganzheitliche Blick sei im Zusammenhang mit Wildtiermanagement unverzichtbar, insbesondere bei großräumig mobilen, störungssensiblen („Verbergungskünstler“) und Probleme verursachenden Arten wie dem Schalenwild. Hackl arbeitete jene Indikatoren der Nachhaltigkeit im jagdlichen, forstlichen und touristischen Tätigkeitsbereich heraus, die im engen Zusammenhang mit dem Tagungsthema und der Frage „Was tun?“ stehen. Hackls Resümee: Lebensraummanagement und Wildtiermanagement brauchen immer eine umfassende, integrale Sicht (z.B. auch betreffs Sichtbarkeit und Bejagbarkeit des Schalenwildes). Das Nachhaltigkeits-Bewertungssystem für integrales Wildtiermanagement (Jagd, FW, LW, Freizeitnutzung) kann hilfreich eigesetzt werden, den Blick auf die Auswirkungen unterschiedlicher Landnutzungen zu erweitern und zu schärfen, sich gemeinsam auf Lösungen zu verständigen und damit die Umsetzung der Mariazeller Erklärung zu unterstützen.
DI Martin Höbarth (Abt.-Leiter Forst- & Holzwirtschaft, LK Österreich) stellte in seinem Beitrag waldwirtschaftliche Optionen zur Lebensraumgestaltung für Wild systematisch und übersichtlich zusammen. Ausgehend von der Frage „Was können wir gemeinsam besser machen?“ wies Höbarth besonders auf unterstützende waldbauliche Maßnahmen hin, die die Wildschadenanfälligkeit des Waldes und die Bejagbarkeit des Wildes betreffen; „Waldbau ist Spiel mit dem Licht“, je nach Zielbaumarten und Standort braucht es richtige Helligkeit, richtigen Auflichtungszeitpunkt, etc. Höbarth forderte dem Lebensraum angepasste Wilddichten, machte aber klar, dass die tragbare Wilddichte von der Tragfähigkeit des Lebensraumes abhängt, und diese Tragfähigkeit kann durch forstliche Maßnahmen meist maßgeblich mitgestaltet werden. Er beendete seinen richtungweisenden, auf Kooperation ausgerichteten Vortrag mit einer Redewendung seiner Kollegin DI Dr. Elisabeth Schaschl (LK Kärnten): „Mit Motorsäge und Gewehr gehen Wald und Wild schadensfrei einher“, und er schloss im Sinne eines ausgewogenen und integrativen Forst & Jagd-Dialogs mit dem neuen Gruß „Gut Holz und Weidmannsheil“.
DI Wolf-Dietrich Schlemper (LK Oberösterreich, Brackenfachmann) brachte Beispiele, wie es dem „Verbergungskünstler Schalenwild“ durch richtig durchgeführte Stöberjagden schwer gemacht werden kann, seine Kunst auszuüben. Seine Daten überzeugten, dass die Stöberjagd eine geeignete Form ist, um Schalenwild wieder sichtbar zu machen und Wildschäden zu reduzieren – sofern diese Jagdart richtig durchgeführt wird.
DI Martin Straubinger (FD Foscari, Kärnten) stellte die bisherigen Erfahrungen und die Ergebnisse des Wildschaden-Monitorings nach der gänzlichen Einstellung der Wildfütterung im Forstbetrieb vor. Ziel war es, so Straubingen, aus der „teuflischen Spirale“ mehr Wild – mehr Schäden – Abschusserhöhung – steigender Jagddruck und jagdliche Fehler – schlaues Wild – noch mehr Jagddruck heraus zu kommen. Die Wildschäden hatten im Betrieb dramatisch zugenommen. Der Hauptgrund der Wildschadenmisere wurde in der Fütterung gesehen. Ab dem Winter 2012/2013 wurden 20 Stück Rotwild mit GPS-Halsbandsendern ausgestattet. Dadurch konnte die Änderung der Raumnutzung des Rotwildes nach Einstellung der Fütterung beobachtet werden. Auf über den ganzen Betrieb verteilten Kontrolltrakten von insgesamt 64 km Länge wurde jährlich die Häufigkeit der frischen Stammschälungen erhoben. Die Anzahl der Neuschälungen hat von 2013 bis 2016 deutlich abgenommen. Das ebenfalls durchgeführte Verbiss-Monitoring zeigte bisher wenig Veränderung beim Verbissprozent. Straubinger fasste als vorläufige Ergebnisse zusammen: Der Wald erhole sich; Rehwild sei in einwandfrei besserer Kondition als vorher mit intensiver Fütterung; Rotwild mache weniger Probleme als erwartet – im Prinzip keine Schäden; auch konditionell sei Rotwild in gutem Zustand, kaum Winterverluste; die Wildverteilung habe sich geändert, die Jagd auf ältere Hirsche wurde schwieriger; im gesamten Rotwildring werde mittlerweile nicht mehr gefüttert. Straubingers Schluss-Statement: „Man spürt überall den Unmut mit der bestehenden Situation der Wildschäden, oft fehlt der Wille zur Änderung – aber ohne Änderung ändert sich nichts!“.
DI Peter Fischer (FB Pannatura, Esterhazy Forst und Naturraummanagement) stellte die vielfältige abgestimmte Landbewirtschaftung auf 44.000 ha Gesamtfläche vor (22.000ha Forst, 6.000ha Landw., 16.000ha Naturschutz, Wasser, Schilf), im Sinne einer betriebsinternen wildökologischen Raumplanung. Die durchschnittliche Größe der Jagdgebiete beträgt 325 ha, der Schalenwildabschuss insgesamt ca. 4.000 Stück/Jahr. Der Betrieb wurde von der ELO mit dem Europäischen Biodiversitätslabel ausgezeichnet. Das Erfolgskonzept sieht Fischer vor allem im forstlichen und jagdlichen Zusammenspiel. Aktive Maßnahme zum Schutz, zur Neugestaltung und Verbesserung des Lebensraumes von Wildtieren trügen dazu bei, einen nachhaltigen biotoptragfähigen Wildstand zu erreichen und gleichzeitig schädlichen Wildeinfluss im Naturverjüngungsbetrieb zu minimieren. Als Motive für die Habitatgestaltung nannte Fischer die Schadensvermeidung, eine günstige Verteilung des Wildes, jagdliche Erfolgssteigerung, leichtere Bejagbarkeit, Erlebniswert, Effizienzsteigerung und die Abschussvorgaben-Erfüllung. Ein Hauptziel der Habitatgestaltung sei vertrautes und sichtbares Wild im Einflussbereich des Jägers zu haben, durch unbejagte, attraktive Flächen für das Wild (Äsungs-, Verweil-, Deckungs-, Setzbereiche u.a.) in günstiger Verteilung zur Wildlenkung; das Flächenverhältnis der Habitatelemente bejagt:unbejagt läge bei ca. 1:1. Fischer stellte zahlreiche zweckmäßige Maßnahmen detailliert vor. Habitatgestaltung werde auch als Zeichen des Naturschutzes gesehen. Fischer schloss mit den Worten: „Aber das beste Habitat nutzt nichts, wenn die Jagdstrategie eine falsche ist. Lern- und Anpassungsfähigkeit des Wildes sind beachtlich. Man muss versuchen mitzulernen, anzupassen und möglichst einen Schritt voraus sein!“
Resümee
Wie beim ersten Seminar im Vorjahr ging es primär darum, wie das Ziel der Wildschadensreduktion erreicht und wie die dafür erforderliche Maßnahme der Wildstandsregulierung neben anderen erforderlichen Maßnahmen effizient umgesetzt werden kann. Der Maßnahme „zweckmäßige Habitatgestaltung“ wurde diesmal mehr Aufmerksamkeit geschenkt als beim ersten Seminar. Es gab eine rege Teilnahme des Auditoriums und die Dialog-Beiträge waren durchwegs kooperativ, ohne traditionelle Schuldzuweisungen. Bleibt zu hoffen, dass diese positive Entwicklung im Forst & Jagd-Dialog auch allgemein stattfindet und nicht nur im Seminar zum Ausdruck kam. Als wichtige Ansatzpunkte für zielführende Maßnahmen wurden bestätigt: Wildbestände regulieren (situationsangepasste Flexibilität gefragt), Wildverteilung steuern (Raumplanung, Habitatgestaltung, Ruhezonen, Jagddruck), Wildschadenanfälligkeit des Waldes minimieren (waldbauliche Maßnahmen), Bejagung erleichtern (Schussschneisen, Schussfeldpflege etc.), gutes Monitoring und objektive Erfolgskontrolle, systematische Einbindung aller Beteiligten in ein Kommunikations-Netzwerk. Beim 2. Seminar wurde besonderes Augenmerk auf positive praktische Beispiele gelegt, wo die Probleme gelöst werden konnten oder gar nicht erst entstanden sind. Das Lernen aus konkreten Positiv-Beispielen (Ermittlung der Erfolgsfaktoren) wurde in den Fokus gestellt (Motto „Was tun?“). Es ging dabei weniger um das Spannungsfeld Forstbehörde – Jägerschaft/Jagdfunktionäre, sondern primär um die erforderliche Kooperation von Grundeigentümern und ortszuständigen Jägern. Teilweise wurden mutig neue Wege mit Erfolg ausprobiert, die beim Seminar vorgestellt wurden. Bei erfolgreichen Maßnahmen in den genannten Betrieben sollte aber stets beachtet werden, dass es sich dabei um Fallbeispiele handelt, dass also die gleichen Maßnahmen anderenorts (bei anderer Ausgangslage) nicht die gleiche Wirkung haben müssen. Es sollten also Maßnahmen nicht unkritisch als „Patentrezept“ übernommen werden. Was an einem Ort zielführend ist, kann anderenorts nichts bringen oder sogar schaden. Die im Dialog gewonnenen Impulse brauchen eine optimale Abstimmung neuer Maßnahmen mit der jeweiligen Situation im eignen Zuständigkeitsbereich. Dies setzt klare Ziele, richtige Einschätzung der Ausgangslage, Kreativität bei der Planung der Maßnahmen(-kombinationen) und den Willen zur Umsetzung voraus. Den Grundeigentümern, die ja auch die primär Jagdberechtigten sind, kommt dabei zentrale Bedeutung zu.
Text: Dr. Friedrich Reimoser, BOKU Wien
Fotos: Ch. Böck, C. Neunteufel
Quelle: OÖ. Jäger Juni 2017, Nr. 155
Die Tagungsunterlagen können hier herunter geladen werden:
http://www.forstjagddialog.at/ueber-uns/arbeitsgruppe-2/fachpapiere2/