Frei von Blei – eine Anwenderbeobachtung für bleifreie Geschosse im Bezirk Vöcklabruck
Eine sehr emotional geführte Diskussion rund um die Bedeutung von Blei in der Jagdmunition erhitzt derzeit die Gemüter, zum Teil weit weg von Sachlichkeit und Rationalität. Kaum ein anderes Thema hat es in jüngster Vergangenheit geschafft, die Meinungen derart zu polarisieren. Zu Recht fragen nicht nur aktive Jägerinnen und Jäger, sondern auch peripher Betroffene wie zum Beispiel Wildbretkonsumenten nach den Hintergründen der aktuellen Aufregung. Internetforen, unzählige Jagdzeitschriften und nicht zuletzt die lokalen Stammtische geben hierzu mehr oder weniger qualitativ hochwertige Antworten hinsichtlich Toxizität, Ballistik, tierschutzrelevanten Aspekten oder Gefährdungspotenzial von bleifreien bzw. bleihaltigen Geschossen. Nicht immer helfen diese Informationen Irritation und Verunsicherung fundiert und sachlich zu kompensieren.
Selbstverständlich ist es notwendig die Sorgen und Anliegen sowohl der Jägerinnen und Jäger sowie auch der öffentlichen Meinung ernst zu nehmen und sich dem Thema Blei in der Jagdmunition entsprechend zu widmen. Es gilt abzuwägen, wie problematisch dieses Schwermetall im Detail ist bzw. ob es, wenn nötig, sinnvolle praxistaugliche Alternativen gibt. Genau in diese Kerbe schlägt der Bezirksjagdausschuss Vöcklabruck mit einer Anwenderbeobachtung.
Keineswegs mit dem Ziel eine weitere Studie über bleifreie Munition auf den Markt zu bringen – deren gibt es bereits viele – lag die Intention der Vöcklabrucker Jägerschaft vielmehr darin, bereits vorhandene praktische Erfahrungen mit handelsüblichen bleilosen Geschossen im Hinblick auf den Alltagsgebrauch auf Rehwild zusammenzufassen. Nüchterne Fakten aus der jagdlichen Praxis als Beitrag zur Beruhigung der Stimmung. Die Anwenderbeobachtung stellte sich keiner Diskussion um die Sinnhaftigkeit der geführten Auseinandersetzung als solche. Blei ist aufgrund des hohen Akkumulationspotenzials zweifelsfrei als humantoxisches Schwermetall einzustufen. Wie weit daraus eine tatsächliche Gesundheitsgefährdung resultiert muss auf wissenschaftlicher Basis abgehandelt werden (Itter u. Pabel, 2013; Albrich, 2015). Alternative Geschosse aus Kupfer in Reinform oder den jeweiligen Legierungsvarianten wirken weniger human- dafür aber umwelttoxisch. Auch dazu sind nüchterne Expertisen notwendig (Göttlein, 2015).
Die vorliegende Anwenderbeobachtung wollte vor allem signalisieren, dass sich die Jägerinnen und Jäger Gedanken zu diesem Thema Gedanken machen und Meinungen weder in die eine noch in die andere Richtung unreflektiert hinnehmen wollen. Basis der Datensammlung waren die individuellen Aussagen von freiwilligen Probanden zu einzelnen Rehwildabschüssen mit handelsüblicher bleifreier Deformationsmunition. Um den Rahmen des Projektes nicht zu sprengen wurden lediglich die Daten von zwei zufällig gewählten Geschossfabrikaten in mehreren Kaliberstärken näher untersucht. Sämtliche Interpretationen der Ergebnisse sollten vermieden werden, darum werden hier die Hersteller nicht genannt. Im Fokus der Datenerhebung standen vornehmlich zwei jagdlich relevante Parameter – Tötungswirkung und Wildbretverwertbarkeit.
Oberste Priorität kam dabei dem schnellen Verenden des getroffenen Tieres zu. Weidgerechtigkeit und Tierschutz fordern einen hohen zielballistischen Wirkungsgrad. Neben dem spontanen Verenden sollen bei ungünstigen Treffersitzen gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Nachsuche geschaffen werden. In zweiter Hinsicht galt es das Wild zu vermarkten. Splitter und Restkörper im Wildbret sind dabei nicht erwünscht. Aus diesem Grund wurden ausschließlich Deformationsgeschosse ohne Splitterwirkung in den Befragungen berücksichtigt.
Methoden
Aus Gründen des Tierschutzes wurden für die Gewinnung von Daten ausschließlich Geschosse verwendet, die im gut sortierten Fachhandel am freien Markt zu beziehen waren. Um nicht den Eindruck einer Testung am lebenden Objekt zu erwecken, wurde zudem am Schießstand mit 60 interessierten Jägern ein Startup – workshop abgehalten bei dem in jagdlicher Standardentfernung auf ballistische Seifen geschossen wurde. Geschossdeformation und dynamische Wirkungen auf das Zielobjekt konnten dabei für die jeweiligen Geschosse gut visualisiert werden (Abb. 1).
Abb.1: Schusskaverne eines bleifreien Geschosses des Kalibers .243 in ballistischer Seife (Foto: Helmberger)
249Rehwildabschüsse aus der Jagdsaison 2014in fünf verschiedenen Kalibern wurden von den jeweiligen Schützen mittels Fragebogen (Abb. 2) analysiert und in eine anonymisierte Datenbank eingeordnet. Die weitaus höchste Rücklaufquote entfiel auf das im Bezirk meist verwendete Kaliber .243. In den anderen Kaliberstärken war die Feedbackquote zu niedrig um eine repräsentative Darstellung der Ergebnisse zu ermöglichen.
Abb.2: Feedback-Bogen mit den erfragten Parametern
Ergebnisse
89,7% der befragten Schützen gaben an, innerhalb von 150m geschossen zu haben. Bei 96,1% aller beschossenen Rehe lag der Treffer im Bereich der Kammer rund um die lebenswichtigen Organe wobei 57,4% die Lunge trafen. Etwas mehr als zwei Drittel der in die Kammer getroffenen Stücke (69,2%) verendeten innerhalb eines Radius von 20m (Abb. 3). Die Fluchtdistanz der beschossenen Rehe schien sich bei stärkeren Kalibern zu verringern. Das Datenmaterial war in den größeren Kalibern bei dieser Anwenderbeobachtung aufgrund zu geringer Probandenzahlen allerdings nicht repräsentativ und infolgedessen konnte wie eingangs erwähnt eine statistisch eindeutige Aussage nicht getroffen werden. Ein Zusammenhang zwischen Fluchtdistanz und den getroffenen Kammerorgangen konnte nicht beobachtet werden. Sowohl bei Herz/Lungen-Treffern als auch bei Lunge/Leber-Treffern war die mittlere Fluchtdistanz annähernd gleich.
Abb. 3: Fluchtstrecken bei einem Kammerschuss
86,4% des erlegten Wildes verendeten im Feuer (41,0%) oder ließen in Abhängigkeit des Treffersitzes deutliche Schusszeichen erkennen. Bei 13,6% der getätigten Abschüsse wurden keine deutlichen Schusszeichen erkannt oder keine Angaben gemacht. Ebenso in Abhängigkeit vom Treffersitz gaben 83,8% der Schützen an, brauchbare Pirschzeichen gefunden zu haben.
Neben der Tötungswirkung stand die Beeinträchtigung und damit Verwertbarkeit des Wildbrets als marktfähiges Nahrungsmittel im Zentrum des Interesses. Die Auswertung fußte auch in diesem Fall auf der subjektiven Einschätzung der einzelnen Jäger. Um dennoch eine weitgehend objektive Auswertung zu gewährleisten wurden daher die „Wildbretentwertung“ nur in drei Kategorien eingeteilt: „normale“ und „starke Beschädigung“ sowie „nicht verwertbar„. Im Bereich der Standard-Schussdistanz bis 150m bewerteten 84,6% aller Schützen die Wildbretentwertung als normal. 15,4% stuften die Entwertung des Wildbrets als stark ein. Zwar war es Ziel des Projektes, herauszufinden, ob die Beeinträchtigung des Wildbrets durch den Schuss in Abhängigkeit zur Schussdistanz steht, diese Auswertung konnte aber aufgrund der wenigen Weitschüsse (10 weiter als 150m und nur 2 weiter als 200m) nicht repräsentativ vorgenommen werden (Abb. 4).
Abb. 4: subjektive Einschätzung der Wildbretentwertung in Abhängigkeit zur Schussdistanz (transparent gefärbte Säulen sind wegen zu geringer Probandenzahlen nicht repräsentativ)
Diskussion
Bleifreie Geschosse sind eine am jagdlichen Fachmarkt erhältliche Alternative zur konventionellen Bleimunition. Laut Aussagen und Erfahrungen der an der vorliegenden Anwenderbeobachtung teilnehmenden Jäger erfüllten diese Geschosse (Kaliber .243) im jagdlichen Betrieb auf Rehwild hinsichtlich Tötungswirkung und Wildbretentwertung im Bereich der Standardschussdistanzen bis 150m die Ansprüche einer weidgerechten Jagdausübung. In den weitaus meisten Fällen verendete das beschossen Stück Wild innerhalb kurzer Distanzen bzw. war bei schlechten Treffersitzen aufgrund ausreichender Schuss- und Pirschzeichen eine erfolgreiche Nachsuche möglich. Die Entwertung des Wildbrets wurde zum größten Teil als „normal“ empfunden. Hierbei handelte es sich um subjektive Einschätzungen bzw. individuelle Vergleiche zu adäquaten Geschossen, die die jeweiligen Schützen bisher verwendet haben. Dass die flächige Ausdehnung von Hämatomen oder die Zerstörung von Gewebe im Bereich des Schusskanals variieren können, ist im jagdlichen Betrieb bekannt und hängt nicht unbedingt nur vom Geschosstyp, sondern sehr stark auch vom Sitz des Treffers ab.
Resümierend bleibt neben obenstehenden Erkenntnissen vor allem die spontane Bereitschaft zahlreicher Jäger zu erwähnen, sich der Diskussion „frei von Blei“ objektiv zu stellen und am Projekt mitzuwirken. Unabhängig von der persönlichen Meinung nahmen sich die Befragten der Thematik professionell und unvoreingenommen an. Bevor bleifreie Munition möglicherweise den jagdlichen Alltag der Zukunft beherrschen wird, wird eine sachliche, objektiv geführte Diskussion vorausgehen müssen. Verschiedene chemische und physikalische Fakten wie Umwelttoxizität, Humantoxizität, ballistisches Verhalten einzelner Materialien und vieles mehr werden in einem vernünftigen Diskurs abzuwägen sein. Wie auch immer die Geschosse der Zukunft aussehen werden, die Jägerschaft hat die Ängste und Sorgen der Menschen nicht ignoriert, sondern ein deutliches Signal gesetzt, bereit zu sein unter Berücksichtigung objektiver Fakten einen optimalen Kompromiss zu erzielen.
Quellenverzeichnis
Albrich, E. (2015): Toxikologische Wirkung von Blei. Informationsveranstaltung Bleifrei Jagen. Nationalpark Besucherzentrum Enns, 16.04.2015.
Göttlein, A. (2014): Ökotoxikologische Bewertung von Jagdbüchsengeschossen. Informationsveranstaltung Bleifrei Jagen. Nationalpark Besucherzentrum Enns, 16.04.2015.
Itter,H. und Pabel, U. (2013): Toxikologie von Blei , Kupfer und Zink. Bundesinstitut für Riskiobewertung. Symposium „Alles Wild“, 18.03.2013.