Das Abwerfen des Geweihs beim Rotwild
Durch das Geweih des Rotwildes wirkt der Hirsch majestätisch und wurde zum Stoff vieler Mythen und Legenden. Das Geweih fasziniert aber nicht nur, sondern dient auch als Umweltindikator, denn an ihm lassen sich Umwelt- und Nahrungsbedingungen der männlichen Tiere ablesen. Viele Enden des Geweihs bedeuten aber nicht unbedingt, dass der Hirsch besonders alt sein muss. Neben dem Alter ist nämlich noch die Qualität des Lebensraumes und die Ge-sundheit des Tieres ausschlaggebend.
Abwurf und Aufbau – ein jährlicher Kreislauf.
Jetzt, ab Februar/März also, verliert der „König der Wälder“ kurzfristig seine Krone. Die Geweihstangen lockern sich allmählich, um in weiterer Folge abzufallen. Dabei werfen die älteren Hirsche früher ab als die jungen – die Sozialstruktur ändert sich. Unmittelbar danach wächst reich durchblutetes Knorpelgewebe über die Bruchstelle der zwei kurzen Fortsätze des Stirnbeins, den Rosenstöcken. Über die Blutgefäße werden etwa in den nächsten vier Monaten große Mengen, nämlich vier bis fünf Kilogramm an Eiweißverbindungen und Mineralien zu den Rosenstöcken geliefert und kontinuierlich obenauf abgelagert. Geweihstangen wachsen immer in die Länge und nur an der Spitze; im Gegensatz zu den Hörnern der Gämsen oder Rinder und Ziegen. Während der Aufbauphase ist das Geweih von einer samtähnlichen Schutz- und Nährhaut, dem Bast, überzogen. In diesem Bast verlaufen große und kleine Blutgefäße, die die erforderlichen Nährstoffe liefern. Der Längenzuwachs kann zu Beginn des Geweihwachstums bis zu 2 cm in 24 Stunden betragen!
Im Laufe der Geweihentwicklung werden in die weiche knorpelige Substanz zunehmend Mineralstoffe, wie Kalzium- und Phosphorverbindungen eingelagert, sodass unter Entstehung von Knochenbildungszellen eine Verknöcherung des Knorpelgewebes stattfindet.
Dabei entsteht ein fester Mantel aus feinstrukturierter Knochensubstanz, wo anhand der Rillen und Furchen der Verlauf der Arterien noch festzustellen ist, und ein schwammig erscheinender Kernbereich mit vielen kleinen Hohlräumen.
Durch die totale Verknöcherung und die damit unterbundene Blutzufuhr (hier entsteht die Geweihperlung) trocknet der Bast ab. Männliche Geschlechtshormone spielen beim Auslösen des Fegens, hierbei reibt der Hirsch die Basthaut an Bäumen und Sträuchern ab, ebenfalls eine große Rolle. Das Resultat ist ein blankes Geweih, dessen rotbraune Farbe wahrscheinlich aus den Rückständen der Pflanzensäfte und dem eigenen Blut herrührt.
Die Tageslänge macht´s
Für den jährlichen Geweihabwurf ist eine Kontrolle des Hormonhaushaltes, vor allem des männlichen Geschlechtshormons Testosteron, verantwortlich. Diese Kontrolle beruht wiederum auf den jahresperiodischen Veränderungen der Tag-Nacht-Längen. Diese schrittweisen Veränderungen werden optisch durch die Hirsche wahrgenommen und über das Zwischenhirn zu Signalen für die Hormonausschüttung umgesetzt. Bei Versuchen mit künstlich erzeugten Hell-Dunkel-Wechsel in Räumen konnten Hirsche sogar zu mehrmaligem Geweihabwurf innerhalb eines Jahres veranlasst werden.
Achtung: Das Sammeln von Abwurfstangen, wie die einzelnen Geweihstangen genannt werden, ist jagdrechtlich verboten. Dies wäre ein Eingriff in fremdes Jagdrecht und ist nur dem Jagdausübungsberechtigten gestattet, der anhand der Geweihstangen die Entwicklung der Hirsche verfolgen kann und bei einem etwaigen Abschuss auf die wichtige Altersstruktur des Rotwildes bedacht nehmen kann.
Falls Sie dennoch gerne eine Abwurfstange mit nachhause nehmen möchten, fragen Sie einen Jäger aus der Umgebung – er wird Ihnen sicher eine schenken, wenn er sie nicht mehr benötigt.
Von Mag. Christopher Böck, Wildbiologe