Das Haselhuhn
Viele Jäger haben das scheue, schwer nachzuweisende Haselhuhn fast vergessen.
Tarngefieder und das Verschwinden aus weiten Teilen seines einstigen Verbreitungsgebiets sind die Gründe dafür. In den letzten Vorkommensgebieten kommt noch ein weiterer hinzu: Aufgrund der Seltenheit des kleinen Waldhuhns hat man meist schon lange vor Einstellung der Jagd auch die Kunst, mit Hilfe der Lockpfeife den scheuen Vogel aus seinem dickichtreichen Lebensraum vor das Auge des Beobachters zu zaubern, verlernt. Ohne den Einsatz der Locke erfordert es große Erfahrung, allein anhand indirekter Nachweise wie Funde von Huderstellen, von Trittsiegel in Schlamm oder Schnee, Mauserfedern oder Losung den zweifelsfreien Nachweis für die Existenz des Haselhuhns zu erbringen. Trotzdem ist die Nutzung dieser indirekten Hinweise besonders bei geringer Siedlungsdichte unverzichtbar – je geringer die Dichte, umso seltener äußern Haselhähne die Pfeifstrophe, die dem Reviergesang entspricht. Das Interesse des Jägers ist gefragt: schützen und hegen kann man nur, was man kennt, und das Erkennen der indirekten Anzeichen ist ein wichtiger Schritt, um die noch bestehenden Vorkommen besser zu erfassen und schützen zu können.
Nicht selten wird eine abstreichende Waldschnepfe, ein sich auf die Kahlschlagsfläche verirrtes Rebhuhn oder gar ein Tannenhäher als Haselhuhn gemeldet. Sicherheit gewinnt man erst dann, wenn man die unfehlbaren akustischen und/oder optischen Feldkennzeichen registriert: den laut burrenden Abflug (am geräuschvollsten meist vom Boden aus), die goldhähnchen-ähnlich hohen (6-8kHz) Gesangsstrophen, das geräuschvolle Landen oder gar den zweisilbigen Flattersprung im Dickicht. Seltener hat man das Glück, den Vogel unverdeckt zu sehen und dabei die bei Erregung aufgestellte Holle, den schwarzen, weiß eingerahmten Kehlfleck des Hahns und die bei beiden Geschlechtern schwarzweiße Endbinde des Stoßes zu erkennen. Da Haselhühner außerordentlich ortsfest sind und ihre im Mittel 10-40 ha großen Reviere kaum verlassen, sollte es bei einiger Suche gelingen.
Raumbedarf und Ansprüche an den Lebensraum
Durch neuere Forschungsarbeiten mit sendermarkierten Haselhühnern in Südmittelschweden, im Schwarzwald und im Nationalpark Bayerischer Wald sind wir heute über den Raumbedarf und die Habitatansprüche des Haselhuhns gut informiert. Die Wohngebiete, die sich durch jahreszeitlich wechselnde Schwerpunkte auszeichnen, sind je nach Qualität des Lebensraums zwischen 10 und 70 ha groß. In der sibirischen Taiga sind bei hoher Siedlungsdichte die Reviere oft nur 5 bis 6 ha groß. Eine Reihe von Anpassungserscheinungen in Körperbau und Verhalten, wie das tarnfarbige Gefieder, die Kletterfähigkeit im Geäst und der wendige Flug, weisen das Haselhuhn als einen spezialisierten Bewohner der Strauch- und unteren Baumschicht des Waldes aus. Es zeigt unter den eurasischen Raufußhühnern die stärkste Bindung an die jüngeren Stadien der Waldentwicklung – zehn- bis 50-jährige Waldbestände werden bevorzugt, aber auch der mehrschichtige oder gestufte Mischwald. In alten, hallenartigen Beständen, denen die Strauchschicht als wesentliches Strukturelement und damit Deckung am Boden fehlt, sucht man das Haselhuhn vergeblich.
Im Ablauf der natürlichen Verjüngung des Waldes besiedelt es einerseits die frühen Stadien auf größerer Fläche, wie sie auf Sturmwurf-, Schneebruch-, Brand- oder Lawinenkatastrophen folgen, andererseits bieten ihm auch kleine mosaikartig verteilte Lückensysteme im Altbestand günstigen Lebensraum, wenn sich Weichlaubhölzer, Beersträucher und Naturverjüngung anderer Gehölze angesiedelt haben. Auch die kleinräumig zonierten und pflanzenartenreichen Quellhorizonte sowie die Nachbarschaft von Fließgewässern oder Mooren befriedigen das Nahrungs- und Deckungsbedürfnis des Haselhuhns. Solche ufernahen Lebensräume bieten unter Umständen ebenso langfristig nutzbare Strukturen, wie alte Wälder in der Zusammenbruchs- und Verjüngungsphase, wo sich infolge der bereits in Lücken begonnenen Verjüngung eine mehrschichtige Waldstruktur gebildet hat.
Im Wirtschaftswald können durch Nutzung und andere Eingriffe unterschiedliche Altersstadien und Forstgesellschaften dauerhaft gehalten werden, was großen Einfluss auf die Eignung als Haselhuhnlebensraum haben kann. Besonders der Femelwald und der baumartenreiche Bauernwald, in denen auch Pioniergehölze wie Weide, Hasel, Birke und Eberesche wenigstens mit 10% im Bestand erhalten bleiben, zeigen viele ursprüngliche und förderliche Elemente, die dem oben skizzierten Bild vom primären Lebensraum nahe kommen. Plenterwald-Bewirtschaftung ist dann günstig, wenn nicht zu sehr dichten, dunklen Wäldern führt und sonnige Lücken belässt, die von allen Raufußhühnern für die Kükenaufzucht benötigt werden. Ungünstig sind auch großflächige Reinbestände von Koniferen. Die früher übliche „Säuberung“ von allen Begleitbaumarten, die ohnehin kurzlebig sind und später aus dem Bestand verschwinden, ist der Tod des Haselhuhns.
Rückgangsursachen
Veränderung des Lebensraumes: Die großflächige Rodungstätigkeit hat in Mitteleuropa sehr früh das einst geschlossene Waldareal zersplittert und Teilpopulationen voneinander getrennt. In den Rückzugsgebieten veränderte schließlich die zunehmende forstliche Tätigkeit des Menschen die Wälder zuungunsten des Haselhuhns, besonders durch die seit Mitte des 18. Jahrhunderts aufgekommene Kahlschlagwirtschaft mit ihren Altersklassenbeständen und mit Fichten- und Kiefernmonokulturen auf großen Flächen. Hochstämmige finstere Wälder bieten dem Haselhuhn weder ausreichend Nahrung noch Deckung. Zudem meidet das kleine Waldhuhn strukturarme Wälder, da der Fluchtweg zwischen Waldboden und Wipfelregion im gleichaltrigen Wald, dessen Bäume aus Lichtmangel keine tiefe Beastung aufweisen, wegen seiner Länge zu gefährlich ist. Sekundär können solche Wälder wieder zu Haselhuhnbiotopen werden: Wege und Schläge bringen Licht in die Eintönigkeit und ermöglichen Beerensträuchern und Weichlaubhölzern das Wachstum. Dichte Aufforstungen brechen durch Wind und Schnee lokal zusammen und leiten Verjüngungsstadien ein, die das Haselhuhn nutzen kann.
Mit der Vernichtung der „forstlichen Unkräuter“ wie Birke, Aspe, Weide und Eberesche werden dem Haselhuhn die zur Winterernährung erforderlichen Baumarten entzogen. Wenn bewohnte Inseln durch zu ausgedehnte Gebiete voneinander getrennt sind, gerät der sesshafte Vogel leicht in Isolation, so dass im zersplitterten Lebensraum das Aussterben sehr bald erfolgt. Je ungünstiger der Lebensraum beschaffen ist, um so eher wird das Haselhuhn von Feinden erbeutet und umso geringer ist der jährliche Fortpflanzungserfolg. Auch der Zwang zu größeren Ortsveränderungen, wenn nicht alle im Jahresverlauf benötigten Elemente des Reviers dicht beieinander liegen, senkt seine Lebenserwartung. Die erklärten waldbaulichen Ziele sind heute geeignet, dem Haselhuhn wieder eine Chance in unseren Wirtschaftswäldern zu bieten.
Klima: Langjährige Perioden mit trocken¬warmen Sommern brachten früher ein Anwachsen der Raufußhühnerbestände mit sich, was regional sogar zur Ausweitung des Areals führte. Längere Folgen niederschlagsreicher, kühler Sommer bewirkten eine rückläufige Entwicklung. Wie sich die gegenwärtig vollziehende globale Erwärmung mittelfristig auf unsere Wälder und ihre Bewohner auswirken wird, kann kaum abgeschätzt werden. Für das Haselhuhn sind nach Forschungsergebnissen im Böhmerwald, in Südmittel-Schweden und in Polen hohe März-Temperaturen günstig für den Fortpflanzungserfolg: frühzeitige Grünäsung am Boden führen zu hoher Legeleistung der Hennen und zu überlebensfähigeren Küken!
Beutegreifer: Dachs-, Fuchs-, Marder-, aber auch Schwarzwildbestände können lokal den Rückgang des Haselhuhns mit verursacht haben. Sie sind sicher aber nur ein Faktor unter mehreren. Die Wechselwirkungen zwischen Raufußhühnern und ihren natürlichen Regulatoren sind kompliziert und in Mitteleuropa ungenügend erforscht, während aus einigen Taiga-Naturschutzgebieten und aus Skandinavien umfangreiches Datenmaterial vorliegt.
Aus einer neueren skandinavischen Untersuchung wissen wir, dass Haselhühner weniger durch Habicht und Baummarder, jedoch stark durch den Fuchs reguliert werden können.
Schutz
Das Haselhuhn ist als europaweit gefährdete Art im Anhang 1 der Europäischen Vogelrichtlinie aufgeführt, auch in den Roten Listen vieler europäischer Länder.
Das Aussterben vieler Populationen im westeuropäischen Raum hat mit Änderungen in der Waldwirtschaft zu tun. Insbesondere gilt das für Gebiete im Westen Deutschlands, in denen eine traditionelle Niederwaldwirtschaft durch Nadelholzmonokultur oder andere Wirtschaftsformen ersetzt wurde.
Da sich die Niederwaldwirtschaft nicht auf größeren Flächen wiederbeleben lässt, müssen im Rahmen regulärer Bewirtschaftung Mittel ersonnen werden, wie man größere Flächen für das Haselhuhn und viele andere Arten des Mischwaldes wieder attraktiver machen kann. Forstliche Nutzung im Femelbetrieb, wobei stufig aufgebaute Waldbilder entstehen, aber auch kleine Kahlhiebe können dann förderlich sein, wenn bei der Verjüngung auch die als Winternahrung unentbehrlichen Weichholzarten wie Birke, Weidenarten, Erlen, Espen, Hasel und Ebereschen in ausreichender Menge im Bestand erhalten bleiben. Dabei sind 5-10% Beimischung in Nadelholzbeständen schon durchaus akzeptabel, die ohne wirtschaftliche Nachteile leicht im Nadelholzbestand erhalten werden können und zur ökologischen Aufwertung des Waldes ebenso beitragen wie zur Minderung von Wildverbiss an den Zielbaumarten. Wichtig ist immer die enge Nachbarschaft von Nahrungsgehölzen und Deckung bietenden Koniferen. Im offenen Kronenraum einer Erle oder Birke äsende Haselhühner müssen im Falle eines Angriffs durch den Habicht blitzschnell die schützende Deckung von Nadelgehölzen aufsuchen können. 10-15 m Abstand sind dabei die kritische Distanz. Zur Förderung des Haselhuhns ist eine breite Palette von forstlichen Verfahren gefragt, die kleinflächige Nutzung und natürliche Verjüngung mit dem „Mut zur Lücke“ und der Förderung von Baumartenvielfalt (einschließlich der Pioniergehölze) verbinden.
Schutzmaßnahmen für das Haselhuhn sind relativ leicht und billig durchzuführen. Das Haselhuhn ist eine ideale Art, um wirkungsvollen Schutz für ein Waldhuhn zu demonstrieren. Managementmaßnahmen für eine solche Art, die frühe Sukzessionsstadien des Waldes bevorzugt, könnten sogar relativ rasch Wirkung zeigen. Ihre Habitatansprüche sind verhältnismäßig gut bekannt. Auch sind Beispiele, etwa aus dem Böhmerwald bekannt, wo das Anwachsen der Population durch Änderung der Vegetation, z.B. Aufgabe der Bewirtschaftung von Flächen, bewirkt wurde. Ein gut belegtes Beispiel dafür ist die auch die Haselhuhnzunahme in Teilen der italienischen Alpen.
Mithilfe der Jägerschaft
Neben der Sammlung von Beobachtungen – auch mittels der noch darzustellenden indirekten Nachweisverfahren – ist es vor allem die aktive Verbesserung der Lebensräume in den verbliebenen Restvorkommen. Das Haselhuhn ist eine Leitart bunt gemischter, baumartenreicher Wälder. Es versteht sich von selbst, dass das Einbringen von Laubholzarten in reine Nadelbestände die Äsungsbasis für alle anderen Wildarten, natürlich auch für nicht jagdbare Vögel und Säuger verbessert. Entfichtung entlang der Bachläufe zugunsten von Erlen-Eschen-Weidensäumen schafft Winternahrung für unser Huhn in Form von Kätzchennahrung, zugleich wird durch Belichtung in der laubfreien Jahreszeit üppige, artenreiche Bodenvegetation am Bach gefördert, die besonders im zeitigen Frühjahr vom Haselhuhn und anderen Arten genutzt werden kann.
Die Herstellung angepasster Schalenwild- und Fuchsdichten sollte ebenfalls zu den Pflichten des Jägers in allen Revieren gehören, die heute noch über das selten gewordene Haselhuhn, aber auch über andere Raufußhuhnarten verfügen.
Bericht und Fotos:Dr. Siegfried Klaus
TIPP:
Weiterführende Literatur:
Bergmann H-H, S Klaus , F Müller, W Scherzinger, J E Swenson J Wiesner
(1996): Die Haselhühner, Westarp Wissenschaften Magdeburg, 278 S.