Wildeinfluss-Monitoring und Abschussplanung
Die Abschussplanung auf der Grundlage des Wildeinflusses - Was hat die Abschussplanung mit Wildschaden zu tun?
Kurzfassung eines Vortrags von Univ. Prof. i.R. Dr. Friedrich Reimoser anlässlich des Seminars am 2. April 2014 in Hohenbrunn.
Vorbemerkungen zum Thema
- Der Wildeinfluss auf die Vegetation und der Wildschaden sollten maßgebliche Grundlagen für die Abschussplanung der Schalenwildarten sein. Eine gute Abschussplanung umfasst aber wesentlich mehr Kriterien, nicht allein die Berücksichtigung des Wildeinflusses auf den Wald, sondern z. B. auch Vermeidung von Krankheiten, Erhaltung einer artgerechten Sozialstruktur, etc.
- Wildeinfluss darf nicht automatisch mit Wildschaden gleichgesetzt werden. Gemessen am jeweiligen waldbaulichen Waldverjüngungsziel kann ein starker selektiver Wildverbiss auch „Wildnutzen“ bedeuten, wenn sich z.B. der Wildverbiss auf zahlreich vorhandene Nebenbaumarten konzentriert und sich dadurch die Zielbaumarten von Konkurrenz entlastet besser entwickeln können. Oder ein Wildeinfluss ist forstlich nicht relevant, wenn trotz starkem Wildverbiss ausreichend Zielbaumarten ungeschädigt für die weitere Waldentwicklung übrig bleiben.
- Die Entstehung von „Wildschaden“ hängt außer von der Wildsituation stets auch vom forstlichen Verjüngungsziel (Baumarten, erforderliche Mindeststammzahl ungeschädigter Bäume) und von der jeweiligen Ausgangslage der Waldverjüngung, ihrer Schadensanfälligkeit ab (vorhandene Baumartenzusammensetzung, Stammzahl, Höhenwachstum, etc.). Durch diese Faktoren wird auch beeinflusst, ob ein bestimmtes Verbissprozent einer Baumart zum Schaden wird oder nicht.
- Die Ausgangslage der Waldverjüngung und ihre Wildschadenanfälligkeit hängen primär von den Standortbedingungen (Boden, Klima, etc.)und von den waldbaulichen Maßnahmen (waldbauliche Betriebsform, Waldpflege, Lichtfaktor, etc.) ab.
- Die Häufigkeit der vom Wild verbissenen, gefegten oder geschälten Bäume hängt vor allem von der Wilddichte, der jahres- und tageszeitlichen Wildverteilung (Witterung, Störungseinflüsse, etc.), der Jungwuchsdichte und dem alternativen Nahrungsangebot an Sträuchern, Bodenvegetation, Grünlandflächen etc. ab. Art und Menge des für die Tiere zugänglichen Nahrungsangebotes hängen wiederum stark von den land- und forstwirtschaftlichen Maßnahmen in einem Gebiet sowie von den jeweiligen Beunruhigungsfaktoren des Wildes ab.
- Die Abschussplanung ist also nur einer der wesentlichen Faktoren zur Vermeidung von Wildschäden im komplex vernetzten wildökologischen Wirkungsgefüge.
Entwicklung der Schalenwildbestände
Unabhängig von aktuellem Wildeinfluss oder Wildschaden ist festzustellen, dass die offizielle Abschussstatistik für Österreich im Jahr 2012 Maximalwerte bei Rot- und Schwarzwild auswies („Allzeithoch“) und dass auch die Rehwildstrecke auf sehr hohem Niveau liegt (Abb. 1). Lediglich Gamswild zeigt rückläufige Tendenz. Auch in Oberösterreich folgt die Jagdstrecke der Schalenwildarten diesem österreichweiten Trend. Beim Rehwild hat Oberösterreich das Bundesland Niederösterreich überholt und liegt an der Spitze (Abb. 2) und beim Rotwild wurden die Maximalstrecken der 70er Jahre wieder erreicht (Abb. 3). Die Strecke von Schwarzwild nahm auch in Oberösterreich stark zu, jene von Gamswild ab. Unter der Annahme, dass diese Zahlen einigermaßen stimmen (nicht in jedem Bundesland ist der körperliche Abschussnachweis durch Grünvorlage aller Stücke Pflicht) und dass die hohen Abschusszahlen beim Reh- und Rotwild (noch) nicht zu einer Bestandsreduktion geführt haben, müssen sehr hohe Wilddichten vorhanden sein, die mit großem Risiko im Hinblick auf die Entstehung von Schäden verbunden sind (v.a. Wildkrankheiten, Wildschäden an der Waldvegetation). Außerdem stößt die jagdliche Regulierbarkeit hoher Wildbestände für Freizeitjäger an Grenzen. Überhöhte Wildbestände sollten also schon vorbeugend, unabhängig vom aktuellen Wildeinfluss, auf ein leichter regulierbares Niveau mit weniger Schadensrisiko abgesenkt werden. Dies ist sinnvoller als dann den Schadensproblemen hinterher zu laufen, ebenso wie es sinnvoll ist, von forstlicher Seite die Wildschadenanfälligkeit des Waldes durch entsprechende Maßnahmen präventiv möglichst gering zu halten.
Entwicklung der Jagdstrecken (Stück pro Jahr) für Schalenwildarten in Österreich seit 1955 (für Rehwild separater Maßstab – rechts).
Entwicklung der Jagdstrecken (Stück pro Jahr) für Rehwild in den österreichischen Bundesländern seit 1955.
Entwicklung der Jagdstrecken (Stück pro Jahr) für Rotwild in den österreichischen Bundesländern seit 1955.
Wozu Monitoring-Systeme? Was sagen sie uns?
Einen Vergleich wesentlicher Merkmale der Oberösterreichischer Abschussplanverordnung (OÖA) und des WEM (Wildeinflussmonitoring des BFW Wien) ist in Tabelle 1 zusammengestellt. Einige Hinweise zu den Wildeinfluss-Monitoringmethoden sollen eine sachliche Interpretation der Ergebnisse erleichtern:
- Zweck der Methoden: Konkrete Zahlen sollen die Diskussion versachlichen, Vertrauen zwischen den Interessensgruppen aufbauen und konsensuale Problemlösungen fördern.
- Jede Methode hat Stärken und Schwächen.
- Auch die Schwächen der Verfahren offen legen, um Interpretationsfehler und Misstrauen zu vermeiden.
- Beide Verfahren wurden für ihren jeweiligen Zweck entwickelt, können einander ergänzen, aber nicht ersetzen.
- Die beiden Methoden können teilweise zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, abhängig vom methodischen Ansatz.
- Die Probeflächenauswahl erfolgt nach unterschiedlichen Kriterien, wodurch verschiedene Ausschnitte der Waldverjüngung abgebildet werden (verschiedene Grundgesamtheiten).
- Zur Erfassung der Situation der gesamten Waldverjüngung wären zufällige Stichproben über die gesamte Waldfläche erforderlich (bei beiden Verfahren nicht der Fall).
- Die OÖ-Methode konzentriert sich auf jagdgebietsweise möglichst repräsentative Waldverjüngungsflächen, wo die standörtlich erwünschten Mischbaumarten schon bzw. noch vorhanden sind.
- Das WEM sucht ausgehend von Rasterpunkten jene Flächen, wo mindestens 5 Jungbäume beliebiger Art mit über 30cm Höhe auf 100 m2 vorkommen; darunter können auch Flächen sein, die (noch) nicht verjüngungsnotwendig sind.
- Die Höhe des Verbissprozents hat nur sehr bedingt eine Aussagekraft über eintretende Wildschäden; Absolutwerte des Verbissprozents nicht überinterpretieren.
- Relative Entwicklungstrends durch regelmäßig erhobene Verbissprozente sind eher aussagekräftig.
- Die Auswirkungen des Schalenwildes auf die Jungwaldentwicklung sind ohne Vergleichsflächen mit Schalenwildausschluss (Zaun als „Schalenwildfilter“) nicht konkret erfassbar; diese sind aber Im Vergleich zu Monitoring-Methoden ohne Vergleichszäune erheblich aufwendiger und teurer in der Errichtung und Erhaltung.
- Die Ergebnisse aus den Monitoring-Methoden sollten nicht für sich alleine gesehen und interpretiert werden, sondern stets als Teil eines breiter angelegten Gutachtens, in der zusätzlich weitere Aspekte für ein zielführendes Wald-Wild-Management berücksichtigt werden (z.B. Auftreten von Schälschäden, forstliche Maßnahmen, Wildschadenanfälligkeit des Waldes, Bejagbarkeit des Wildes, Störungseinflüsse, Waldweide).
- Für Konsensfindung und Umsetzung sind gemeinsame Revierbegehungen förderlich; dabei sind anschauliche Vergleichsflächen mit Kontrollzäunen nützlich.
- Die OÖ Weiser- und Vergleichsflächen sind auf revierweise Umsetzung ausgerichtet. Für das WEM, das nur bezirksweise Aussagen liefert, sollten Ablauf-Strukturen zur lokalen Umsetzung der Ergebnisse etabliert werden; Erprobung in OÖ im Rahmen des Forst-Jagd-Dialogs (Mariazeller Erklärung 2012).
- Wenn möglich (finanzielle Leistbarkeit) sollten weiterhin beide Monitoring-Verfahren angewandt werden (unterschiedliche Aussagen).
- Der Kommunikationsprozess zwischen den beteiligten Interessengruppen hat für die Umsetzung von Maßnahmen mindestens den gleichen Stellenwert wie zahlenmäßige Ergebnisse des Monitorings.
- Primär Schaffung eines wechselseitigen Problemverständnisses, Aufbau von Vertrauen und Planung gemeinsamer Maßnahmen durch regelmäßige gemeinsame Diskussion der Monitoring-Ergebnisse auf verschiedenen Ebenen (Land, Bezirk, Hegegemeinschaft, Jagdgebiet).
- „Management“ sollte ganzheitlich verstanden werden als die Summe aller Maßnahmen um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die drei wichtigen „K“ im Management sind Kommunikation, Kompromissbildung und Konsensfindung.
- Beim Wildtiermanagement mehr Wert auf die Umsetzung von Maßnahmen und präventives Handeln legen (z.B. effektive Wildstandregulierung, Minimierung der Wildschadenanfälligkeit des Waldes, Erhaltung geeigneter Lebensräume für das Wild). Dabei geht es primär um den Umgang mit Menschen, die mit Wildtieren und deren Lebensräumen zu tun haben. Statt traditioneller „Feindbildpflege“ und einseitiger Schuldzuweisung braucht es offene Gespräche zwischen den am „Forst-Jagd-Problem“ beteiligten Personen auf „Augenhöhe“ (v.a. Grundeigentümer, Behörde, Jägerschaft) und gemeinsames Handeln.
- Eine einfache Monitoring-Methode, die die Auswirkungen des Schalenwildes auf Mischwaldverjüngungen stets richtig und vollständig zu erfassen und abzubilden vermag, existiert nicht. Aber jede der Methoden ist – sofern die Ergebnisse richtig interpretiert werden – besser als unkonkrete Diskussionen ohne operationale Daten.
- Zusätzliche Hinweise für die Interpretation der Ergebnisse, die für beide Methoden gelten: (a) Bedingt durch die Kriterien für die Probeflächenauswahl werden spärlich verjüngte Flächen werden nicht erfasst – positive Verzerrung der Situation (Unterschätzung des Wildeinflusses möglich); (b) Probeflächen mit „guter“ bzw. rascher Jungwuchsentwicklung scheiden bald aus dem Probeflächennetz aus, während „schlechte“ Flächen im System akkumulieren – zunehmend negative Verzerrung der tatsächlichen Situation (Überschätzung des Wildeinflusses möglich).
Schlussbemerkung
Wir hätten gern sichere Prognosen, wie sich ein bestimmtes Verbissprozent auf die Jungwaldentwicklung auswirken wird. Die gibt es leider nicht, vor allem nicht im natürlich verjüngten Mischwald. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle. Deshalb müssen wir uns mit Monitoring-Methoden begnügen, die zwar konkrete Daten liefern, aber nicht unbedingt die reale Walddynamik abbilden und deshalb vorsichtig zu interpretieren sind. Wir dürfen nicht so tun, als würden diese Monitoring-Ergebnisse die Auswirkungen auf die Waldentwicklung stets richtig abbilden, sonst werden wir bei kritisch denkenden Menschen rasch unglaubwürdig. Wir dürfen aber auch nicht darauf verzichten, unser Möglichstes an Objektivierung zu tun, um Gefahren durch Wild einzuschätzen und Schäden im Wald zu vermeiden, sonst werden wir unserer Verantwortung nicht gerecht. Kontrollverfahren und Maßnahmen nach bestem Wissen und Gewissen sind erforderlich. Mit den „Rest-Unsicherheiten“ müssen wir leben. Dies ist in vielen Bereichen des Managements normaler Alltag – so auch im Umgang mit Waldvegetation und Schalenwild und im Forst-Jagd-Dialog. Positivbeispiele aus der Praxis zeigen uns jedenfalls, dass Forst-Jagd-Probleme am besten gemeinsam mit Gewehr und Motorsäge nachhaltig lösbar sind und nicht durch gegenseitige Schuldzuweisungen ohne Handlungsbeitrag im eigenen Zuständigkeitsbereich.
Univ. Prof. i.R. Dr. Friedrich Reimoser
Universität für Bodenkultur & Veterinärmedizinische Universität Wien